Die Pianistin Mary Lou Williams
über eine der legendären Sessions im Kansas City der 30-er Jahre:
"Es sprach sich herum, dass
Hawkins im Cherry Blossom war, und es war kaum eine halbe Stunde vergangen, da
hatten sich Lester Young, Ben Webster,
Herschel Evans, Herman Walder und ein oder zwei unbekannte Tenoristen im Club
versammelt und wollten blasen. "Bean" Hawkins hatte nicht damit
gerechnete, dass die Kaycee-Tenoristen so gewaltig waren, und war unsicher und
konnte keine rechte Linie finden, obgleich er den ganzen Morgen spielte.
Zufällig schlief ich die Nacht,
und um vier Uhr morgens wachte ich auf; jemand klopfte an meine Verandatür.
Ich
öffnete das Fenster und sah Ben Webster. Er sagte: "Steh auf, Schnuckiputz,
wir jammen, und alle Pianisten sind inzwischen am Boden zerstört. Hawkins hat
sich sein Hemd ausgezogen und bläst immer noch. Du musst sofort
runterkommen."
Und genauso war es. Als wir
ankamen, stand Hawkins im Unterhemd da und kreuzte die Klingen mit den Männern
aus Kaycee. Offenbar war ihm hier etwas begegnet, womit er nicht gerechnet
hatte.
Ganz so war es bei der ersten
Session am 17. März nicht - es war nämlich kein Kräftemessen, kein Wettbewerb,
zu dem sich zahlreiche Musiker und viele Zuhörer getroffen hatte. Die
"Baßgeige" war brechend voll - tatsächlich kamen einige Gäste nicht hinein. Brodelne Atmosphäre, aufgeregte junge
und alte Instrumentalisten - und mit Hans-Christian Hasse ein rühriger
Organisator. Mit einem Quartett spielte er zu Beginn des Abends drei Stücke zum
Anheizen, anschließend gab er die Bühne für die Session frei. Viele hatten sich
bereits bei dem Pianisten angemeldet und sich für ausgewählte Stücke eintragen
lassen. Hans-Chrsitian Hasse managte dann den Ablauf und stellte Sessionsbands
zusammen. Das war glücklicherweise nicht schwer: Es waren zwei Bassisten da,
vier Schlagzeuger, ebenso viele Pianisten; dazu zahlreiche Holzbläser, ein Posaunist,
ein Flügelhornspieler und eine wunderbare Sängerin. Viele Musiker
einschließlich ihrer Namen kannte ich nicht, weshalb ich an dieser Stelle auch
diejenigen nicht nenne, die ich - teilweise seit vielen Jahren - kenne. Ziel
der Session war und ist es, Musikern Spielmöglichkeiten zu geben und Kontakte
zu schaffen. Die Session soll sozusagen das Dunkelfeld der Braunschweiger
Jazzszene aufhellen. In Ansätzen ist das bereits beim ersten Mal geglückt. Am
Donnerstag, 26. April, wird die Reihe im Viertelnach fortgesetzt. Ich bin
gespannt, wie es weitergeht.
Übrigens: Ich hatte in dieser
Woche mit einer Band älterer Musiker (ich gehöre selbst ja auch dazu) eine
Probe und habe über die tolle erste Session berichtet. Es zeigte sich im
Gespräch, dass viele Amateure unsicher sind und Bedenken haben, an einer
Session teilzunehmen. Sie befürchten, sie könnten qualitativ nicht mithalten
und würden sich einem Wettbewerb stellen müssen. Diese Befürchtung braucht -
auch nach den Erfahrungen der ersten Session - niemand zu haben. Die Musiker
gehen kollegial-konstruktiv miteinander um und unterstützen sich. Wir sind schließlich
in Braunschweig und nicht in Kansas City.
Das Zitat am Anfang des Textes
stammt aus: Shapiro, N., Hentoff, N.: Jazz erzählt, München 1962
Thomas Geese